Als ich 1992 meinem Professor an der Uni dieses Thema für die letzte große Hausarbeit im Hauptstudium vorschlug, bekam ich eine ernüchternde Antwort: Das sind doch zwei Themen, warum schreiben sie nicht erstmal über eines?
Diese Antwort war im Rückblick mitverantwortlich für eine difuse und unbewusste innere Entwicklung, die mich schlußendlich dazu bewogen hat, nicht nur mein Vorhaben einer literaturwissenschaftlich interessanten und neurowissenschaftlich gestützten Hausarbeit aufzugeben sondern mein Studium ganz hinzuschmeissen.
Die Antwort steht in meinen Augen stellvertretend für eine Geisteshaltung, die mir damals von den meisten Dozenten entgegenschlug. In fast allen Seminaren war mehr oder minder das gleiche Mantra zu hören: Deine Ideen und eigenschöpferischen Ansätze sind für das wissenschaftliche Arbeiten völlig irrelevant. Hier geht es um korrektes Zitieren, einwandfreie Quellenangaben, das Wiederkäuen von schon zu Papier gebrachten Gedanken und die gehorsame Eingliederung in einen akademischen Kanon.
Es gab allerdings Ausnahmen. Dr. Jens Becker war so eine. Für mich war er der Archetyp des gelehrten Intellektuellen, der mit Weisheit und Humor Studierende in ihrer Entwicklung befördern konnte, wenn sie denn wollten. Er hatte selbst publiziert und war dem eigenen Schreiben nie abgeneigt, auch dann nicht, wenn Kollegen darüber in akademisch-bornierte Art ihre Nase rümpften. Er ermutigte mich, meine eigenen Wege zu suchen und trotz wissenschaftlicher Zwänge beim Schreiben nie den eigenen Ton, die eigenen Gedanken aufzugeben. Er forderte mich auch heraus, ihn zu überraschen und mit ungewöhnlichen Verknüpfungen neue Wege zu erforschen. Und empfahl meine Proseminararbeit über das Genre Detective Novel einem Lektor beim Ulsteinverlag.
Heute, also fast 30 Jahre später, las ich einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung. Darin geht es um die Unmöglichkeit, die eigene Lebensgeschichte objektiv wiederzugeben. Der Artikel folgt exakt dem Ansatz, den ich damals so spannend fand und über den ich schreiben wollte: die Verknüpfung aus literaturwissenschaftlichem Interesse an dem Genre des autobiografischen Romans und der Neugier an den aktuellen psychologischen Erkenntnissen über die Eigenwahrnehmung und Erinnerungsfähigkeit.
Ich muss bis heute darüber schmunzeln – oder wahlweise den Kopf schütteln – dass mir damals vorgehalten wurde, ich wolle über zwei Themen schreiben, wenn doch gerade die Verknüpfung aus fiktionaler Form und neurologischer Vorbedingung das zentrale Thema war. Auch dieses Schubladendenken folgt wahrscheinlich einem neurologischen Muster, welches ich seitdem immer wieder entdecken konnte, ob nun in Behörden, bei Medizinern oder in der Kulturbranche, dort vornehmlich in der Öffentlichskeitsarbeit und der Dramaturgie.
Heute wäre es interresant, in einer Art Meta-Arbeit den damaligen Ansatz zu überprüfen, ihn in Verbindung zu meiner Lebenserfahrung zu stellen, dabei herauszuarbeiten, dass auch ich nicht in der Lage bin, diesen Vorfall ohne Widerspruch und nachträgliche Schönfärberei wiederzugeben, mit der zarten Anmutung einer narzistischen Selbstüberhöhung. Wir machen uns alle zu den Helden unserer eigenen Geschichte.