Kinderläden

Kinderladen, Kesselstr, 60, Dortmund Hafen-Süd, ca. 1970

Ein damals hochaktuelles Spannungsfeld unter westdeutschen Linken Ende 60 – Anfang 70: Die Kindererziehung in Kinderläden.

Auf der einen Seite gab es die reformpädagogischen Überlegungen von bereits beruflich etablierten Eltern mit dem Blick auf antiautoritäter Erziehung, auf der anderen Seite junge Frauen, die als Studentinnen oder Auszubildende noch nicht beruflich etabliert waren und als Mütter über ihren eigenen privaten, familiären und beruflichen Lebensweg entscheiden wollten, somit also nach neuen gesellschaftlichen Ansätzen für sich und ihre Kinder suchten.

Beiden gemein war sicher der Gedanke, dass die Frauenbewegung – sowie die Emanzipation von gesellschaftlichen Minderheiten – und die dafür notwendige Freiheit im Denken eng mit der Kindererziehung verknüpft waren, weil die nächste Generation – vor allem die heranwachsenden Jungen – dialektisch einen immanenten Bestandteil einer solchen Entwicklung darstellen würden. Dazu diese kurze Biografie als Einstieg: https://www.nifbe.de/fachbeitraege/autorinnen-der-fachbeitraege?view=item&id=516:monika-seifert-1932-202&catid=37

Im Rückblick würde ich als direkt Involvierter sagen: Und dann kamen die 80er. Neoliberalismus, neues Männer-Ego, überall ein wiedererstarkendes Bild des prototypisch männlichen Machtgefüges. Muckis, Machos, Macker. Für mich als Filmfan lohnt da immer ein Blick in die Entwicklung Hollywoods und nachfolgend die der westdeutschen Fernsehlandschaft. Die 70er haben eine Unmenge wirklich wertvoller, unglaublich selbstkritischer und reflektierter Werke hervorgebracht.

Es war die Zeit des New Hollywood, des jungen deutschen Films, der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Folgeschäden des Vietnamkrieges, das Hinterfragen von Machtgefügen und das Zulassen eines brüchigen, gesellschaftlich nicht durchdefinierten Bewusstseins.

In der BRD nahm das Fernsehen seinen Bildungsauftrag durchaus ernst, koproduzierte großartige Filme und bezog oft Stellung zu kritischen Fragen in der Gesellschaft, statt sich hinter dem kleinsten gemeinsamen Nenner und der Quote zu verstecken (Es gibt viele gute Gründe, warum ich als ehemaliger Fernsehjunkie und Kind dieser Zeit heute gar kein Fernsehen mehr schaue.) Manche Sendungen sind vom pädagogischen Standpunkt – Kinderfernsehen – und dem hohen Maß an Diskurskunst – Talkshows, Interviews – bis heute unerreicht.

Für mich liegt der Bruch irgendwo in den Entwicklungen Ende der 70er: Revolution und Geiselnahme im Iran, 2. Militärputsch in der Türkei, Einmarsch der Sowjets in Afghanistan, der letzte emphatisch denkende Präsident der USA, Jimmy Carter, realpolitisch naiv in seinem Vertrauen in die sowjetische Führung und damit ein am gnadenlosen historischen Pragmatismus Gescheiterter, wird ebenso gnadenlos abgewählt, das Herannahen der Monster-Troika taucht am Horizont auf (Thatcher -79, Reagen- 80, Kohl -83), der Iran-Irak-Krieg, die Falklands, Pershings auf deutschem Boden, Iran-Contra-Gate, und unzählige weitere politische Ereignisse, die dazu führten, dass die gesellschaftlich kritischen Fragen, die in den 70ern eine Blütezeit erlebten, wieder in den Hintergrund gedrängt wurden von dem Bedürfnis nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Die Kulturindustrie der 80er überschwemmte uns dann mit was? Genau: mit Action. Und mit wieder zurückgekehrtem Vertrauen in den „Helden“ mit Waffe in der Hand. Der Humor beeindruckte mit seichtem Schwachsinn, der Porno wurde härter. Es gibt eine Szene in Boogie Nights von Paul Thomas Anderson, die mich nachhaltig beschäftigt hat. Mein Jugendheld Burt Reynolds – ja, ich weiß, aber das ist eine andere Geschichte 😉 – sagt dort als Pornoproduzent Jack Horner in etwa: „Die 70er waren unsere Zeit, und jetzt in den 80ern versauen uns Koks, Aids, die Börsenfuzzies und Reagan das Leben. Alles ist härter, schneller, brutaler, egomaner. Und dann dieser Video-Scheiß! Das ist doch keine Kunst!“ In einer Filmkritik stand sehr passend: „Boogie Nights is the first great film about the 1970s to come out since the ’70s“ (LaSalle, Mick (October 17, 1997). San Francisco Chronicle review“. SFGate.com. Retrieved June 25, 2011.)

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