Quantenrhetorik

Wie häufig im Leben habe ich heute morgen einen Ausdruck für ein sprachliches Phänomen gefunden im Glauben, dass mich gerade die sprachliche Muse geküsst habe, nur um dann schon ein paar Stunden später bei Surfen im Netz genau diesen Ausdruck bei jemand anderem zu finden. In diesem Fall ist es der Begriff „Quantenrhetorik“.

Wie so häufig beobachte ich bei Gesprächen mit meinen Kindern deren sprachliche Bonmonts mit großer Genugtuung und halte sie als Notiz fest. Viele dieser Sprüche und Gedanken finden sich unter der Rubrik „Kindersprüche“ und „Das Amyrische Gebiet“.

Heute morgen beim Frühstsück sagte also mein Sohn (9 Jahre alt) mehrfach, er habe etwas gesagt, dass er nicht gesagt habe, weil er es eben gesagt habe, es aber nicht gesagt habe. Diese Gespräche sind ebenso anstrengend wie amüsant, je nachdem, ob wir ernsthaft mit ihm über etwas reden möchten oder einfach nur angeregt quasseln. Er wiederholte breit grinsend mehrfach die widersprüchliche Position, er habe etwas gesagt und eben nicht gesagt, dass sei ja das Problem, und deshalb würden wir ihn jetzt nicht verstehen. Daraufhin riet ich ihm, später mal in Richtung Linguistik zu promovieren oder doch zumindest das Fach Jura zu belegen, um dann mit dieser umwerfenden Argumentation die anderen schwindelig zur reden. Dann sagt ich ihm, wenn etwas gleichzeitig wahr und nicht wahr sei und er etwas gesagt habe und es nicht gesagt habe, dann könnten wir dafür ja den Begriff „Quantenrhetorik“ erfinden. Er sei also ein Quantenrhetoriker. Das gefiel ihm.

Und dann habe ich vorsichtshalber mal gegoogelt, um schon mal vorab das Copyright am Begriff zu klären und fand den Begriff auf dieser Seite: https://der-artgenosse.de/depressive-nicht-so-richtig-veganer-und-relativistische-quantenmeinungen/

Zunächst war ich ein bisschen enttäuscht. Dann dachte ich an meinen Großvater, der immer zu mir gesagt hat: „Ideen? Davon hab ich hundert am Tag“, wenn ich ihm wieder mal eine meiner neuesten gedanklichen Erfindungen präsentiert hab.

Vielleicht steckt aber mehr hinter dieser kleinen Begebenheit, dachte ich dann. Es geht ja bei solchen Sachen gar nicht zwingend darum, wer was erfindet, sondern eher um die Frage, was wir aus solchen scheinbaren Kleinigkeiten machen. Die eine bastelt als Comedienne daraus einen Sketch, der nächste als Hobbyautor einen kleinen Text (siehe hier), wieder eine baut das als Dozentin in die Einführung eines Proseminars über „Quantenphysikalische Erkenntnisse in der zeitgenössischen Lyrik“ ein.

Allen gemein ist das kurze Aufhorchen und das Fantasiebedürfnis, daraus weiterführende Gedanken anzustellen. Vielleicht handelt es sich dabei um eine Schwarmerfindung? Auch ein Begriff, denn ich sofort googeln möchte. Und siehe da: Auch den gibt es schon, und zwar in Dresden. https://oiger.de/2020/03/23/schlauer-schwarm-beerbt-da-vinci/174299

Wie dem auch sei, das gleichzeitige Aufkommen ähnlicher oder sogar im Wortlaut identischer Gedanken und Begriffe ist vielleicht auch ein weiterer Beleg für den quantenmechanischen Gedanken, dass wir alle über ein System miteinandern vernetzt sind, welches wir noch nicht verstehen. Und welches viel weitreichender und allumfassender ist als jede derzeit erdenkliche Vernetzung mittels elektronischer Impulse über Standleitungen aus Kupfer oder Glasfaser und Funkstrecken zwischen Masten, Satelliten und Serverparks.

Wenn wir irgendwann die passenden Instrumentarien für diese Art der Kommunikation entwickelt haben, die es uns erlaubt, Zeit und Raum zu überwinden, dann werden wir auf das Zeitalter des Internets mit einem amüsanten Erstaunen zurückschauen und uns fragen, wie wir jemals denken konnten, unser Weg würde weiterhin durch das simple duale Prinzip des An- und Ausbleibens eines Signals geprägt werden.

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