geboren und aufgewachsen in der westfälischen Weltmetropole Dortmund, besucht der Sohn einer Kunstpädagogin und eines Musikers zunächst die Grundschule. 1974 folgt ein erstes Schlüsselerlebnis, als der knapp 9-jährige mit Windpocken am Fernseher die WM verfolgt und dabei das de facto-Halbfinalspiel Holland-Brasilien im ein paar Kilometer entfernten Westfalenstadion live durch das geöffnete Fenster mit anhören kann. Das der *BVB 09 zu dieser Zeit hochverschuldet ist, in der Regionalliga rumdümpelt und noch im April im nagelneuen WM-Stadion erstmal eine 0:3 Klatsche ausgerechnet von den Schalkern erhalten hat, interessiert den weltoffenen Bengel im Weltmeistertaumel nicht.
Die 70er Jahre sind geprägt durch Reisen ans Mittelmeer, das Erlernen des Skifahrens in den Dolomiten und – durch Abwanderung des Vaters – ausgiebige Besuche der westlichen Ostsee, genauer Angeln, noch genauer *Wittkiel bei Kappeln. Da sich das familiäre Interesse auf mütterlicher Seite zunehmend gen Orient orientiert, kommt es heiratsbedingt zur Begegnung mit ca. 50 neuen Verwandten in der Türkei. Dort hinterlässt vor allem die Millionenmetropole Istanbul einen bleibenden Eindruck auf den vorpubertären Jungen, der bereits nach wenigen Wochen fließend an die drei Dutzend Wörter türkisch beherrscht und so ohne fremde Hilfe allein im Istanbuler Ortsteil Bostanci Gemüse kaufen kann. In dieser Zeit erlebt er jeweils in den Sommerferien spannende Abenteuer, so die freiwillige Evakuierung Kretas während des Zypern-Konflikts 1974 und die Ausgangssperre in Istanbul nach dem Militärputsch 1980.
Doch sind es nicht die weltpolitischen Großereignisse sondern das Aufkeimen erster Zuneigung zum weiblichen Geschlecht, die ihn Anfang der 80er Jahre in die Arme seines Großvaters treiben, eines Klavierlehrers und Bratschisten bei den Dortmunder Philharmonikern, in der Hoffnung, durch Klavierunterricht beim Großvater als echter Tastenprofi das Herz der gleichaltrigen Klavierschülerin zu gewinnen. Der Versuch schlägt fehl. Enttäuscht wendet er sich dem Sport zu und spielt Handball in einer katholischen B-Jugendmannschaft. Zusätzlich beginnt er nach einem Bierflaschenwurf seines Stiefvaters, der ihn knapp verfehlt, mit dem Karate-Training, um sich zukünftig in der rauen Männerwelt des Ruhrpotts behaupten zu können. Weil es beim Training aber einfach zu brutal zugeht, gibt er den Handball bei den Katholiken wieder auf und bleibt beim zen-buddhistischen Karate.
Schließlich bewirbt er sich für einen Schüleraustausch nach Amerika. Zunächst findet man keine Familie für den eigentlich sympathischen Pazifisten, der noch schnell per Postkarte sein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. 3 wahrnimmt und nach heutigem Verständnis von glücklich vernetzten Bürgern in eine typisch paranoiden Grundhaltung der frühen 80er Jahre mit einer weiteren Postkarte gleich auch noch die geplante Volkszählung ablehnt. Doch schließlich fasst sich eine erz-republikanische Patchworkfamilie mit vier Autos ein Herz, und so landet der 17-jährige 1983 noch während der ersten Amtsperiode des Präsidentenschauspielers Ronald Reagan – und lange vor dem ersten Auftritt der kreationistischen Volksschauspielerin Sarah Palin – in Fairbanks, Alaska, dem nördlichsten, kältesten, größten und vielleicht merkwürdigsten Bundesstaat der USA. Als sich Reagan und der Papst in Fairbanks am Flughafen treffen, der eine auf dem Rückflug aus China, der andere auf dem Weg nach Japan, spielt seine Schulkapelle ein Ständchen auf dem Rollfeld. Im Flughafengebäude steht dafür nicht ausreichend Platz zu Verfügung. Bei der darauf folgenden Live-Ansprache in der Turnhalle der Universität Fairbanks lauscht er nicht ohne satirisch gefärbte Faszination den patriotischen Worten des amerikanischen Präsidenten, schätzt die Entfernung zum Redner auf etwa 30 Meter und wundert sich, warum ihn der Secret Service vorher nur lustlos und schlampig auf Wurfgegenstände und Waffen untersucht hat. Traut man jungen deutschen Männern etwa keine Gewaltbereitschaft mehr zu? Aber gut, er wirft halt doch nichts und stapft durch den Schnee nach Hause.
Die vielen ungewöhnlichen und lebensprägenden Erfahrungen, die er in Alaska sammelt, helfen ihm nicht zwingend, ein Jahr später sein Abitur in Angriff zu nehmen. Ganz im Gegenteil widmet er sich gleich nach seiner Rückkehr fast ausschließlich der Musik in zwei Dortmunder Bands und besucht neben der Schule als wahrscheinlich jüngster Gasthörer der Uni Dortmund Grundseminare am Englischen Institut. Schließlich gelingt es ihm trotz fehlenden Interesses, sein Abitur mit mäßigem Erfolg abzuschließen.
Die folgenden Jahren, die er gern als ‚Die Dunklen Jahre‘ bezeichnet, bescheren ihm fast 40.000 Kilometer, die er im innerstädtischen Verkehr für den Behindertenfahrdienst der Dortmunder Stadtwerke in einem umgebauten Opel Kadett Diesel zurücklegt. Zeiten des absoluten Stillstands auf Hauptverkehrsadern und im privaten Leben werden abgelöst von nächtlichen Glücksspielexzessen und bis zu sechs warmen Mahlzeiten täglich. Statt der anvisierten Profikarriere als Musiker gibt er die Bandproben auf, verkauft spontan alle Instrumente, um einer bizarren Heiratszeremonie seiner älteren Gastschwester in Alaska beizuwohnen und entdeckt schließlich auf dem Rückflug seine Leidenschaft für hardboiled detective novels und diverse reaktionäre Actionthriller. So liest er sich in den Pausen zwischen der Beförderung Hilfebedürftiger zu Heimspielen des BVB und der Reinigung und Betankung seines Dienstwagens durch sämtliche Werke Chandlers, Hammetts, Macdonalds, Ludlums und weiterer Vertreter der Gattung und träumt von einem Leben als schreibender Akademiker. 20 Monate und 21 Krankmeldungen später verlässt er seine Heimat und schreibt sich in Kiel an der nördlichsten Uni Deutschlands am Englischen Seminar ein, um den Abstand zu Bier und Borussia in Zukunft möglichst groß zu halten. Er wird nie wiederkehren. Aber für den Rest seines Lebens weder vom Bier noch vom Blick auf die Tabelle loskommen.