Ostern

Karfreitag. „Heute ist Geburtstag“, sagt Philipp und rennt völlig aufgekratzt durch die Wohnung, vermutlich mit Bildern von Kuchen und Geschenken und Kakao im Kopf.

Das Missverständnis begann mit dem Wunsch, gekochte Eier zum Frühstück zu essen. Da keine mehr im Kühlschrank waren, schlug er vor, welcher zu kaufen. “Das geht nicht, heute sind alle Läden zu, heute ist Feiertag.“ Feiertag bedeutet natürlich, dass es was zu feiern gibt. Und im Kindergarten ist das üblicherweise ein Geburtstag.

Karfreitag liegt auf dem Partykompass in entgegengesetzter Richtung, bildet sozusagen das Gegenstück zum Geburtstag, ein um 180 Grad gedrehter Feieranlass. Das ist einem Vierjährigen, der das Gesamtpaket Ostern vor allem mit Schokolade in Stanniol verbindet, aber schwer zu vermitteln.

Prompt stoße ich ein paar Minuten später beim Frühstückssurfen auf die Meldung, dass in Florida jeden Tag einmal eine Kreuzigung zelebriert wird (No intermission). Die Webseite „The Holy Land Experience“, einem religiösen Themenpark in Orlando, Florida, ist eine Fundgrube für alle, die religiösen Kitsch und Geschichtsklitterung schätzen. Die in Blau, Lila und Gold gehaltene Gestaltung mit verzuckerten Bildrahmen im Disney-Stil lässt keine Trash-Wünsche offen.

Eines der ersten Fotos zeigt Jesus, der von römischen Wachen durch die engen Gassen Jerusalems getrieben wird. Besonders beeindruckend das archäologisch bedeutende Schild mit dem altertümlichen Schriftzug „Jerusalem Market Street“. Jerusalem, du wilde alte Dame, polyglott und wahrsagerisch zugleich, Du wusstest selbstverständlich, dass ausgerechnet die Angelsachsen sich 2000 Jahre später in den Sümpfen am Golf von Mexiko ein New Jerusalem errichten würden und warst bereits des Englischen mächtig (An dieser Stelle liebe Grüße an meine Anglistik-Dozenten, die mir dieses brisante Detail des amerikanischen Gründungsmythos vorenthalten haben) Mich erinnert das an die Amphoren aus den Ägäis, die ich als Kind auf Kreta gesehen habe, auf deren Unterseite in den Ton eingeritzt „500 B.C.“ stand.

Für mich als bühnenauftretender Künstler aber ist das Highlight auf dieser Seite „The Holy Land Experience Center for the Arts“. Die Darstellung der Kreuzigung nebst Auferstehung (schon 15 min später) wird nicht wie in Bayern üblichen ortsansässigen Laiendarstellern überlassen, sondern stützt sich auf eine extra für diesen Zweck ins Leben gerufene (ich weiß) Schauspielakademie, in der religiöser Bühnennachwuchs fachkundig geschult wird. Hier lernen die Jesus-, Maria- und Jüngereleven, wie Wunder und Heilung, Lobpreisung und Anhimmeln (Arme gestreckt parallel langsam nach oben führen) für ein breites Publikum wirksam in der Freilichtkulisse zelebriert werden, und die bösen Römerbuben dürfen sich in bester Methodacting-Manier mit Schaumgummipeitschen am mit Theaterblut besudelten Hauptdarsteller abarbeiten.

Während der ca. 75-minütigen Show sind alle Imbissbuden geschlossen. Das ist sinnvoll, denn während einer Kreuzigung Fastfood zu essen scheint geschmacklos (!) und könnte zu unappetitlichen Würgereflexen führen, obwohl es durchaus den damaligen Verhältnisse entspräche und für die Zuschauer sicher noch eine Schippe Authentizität drauflegen würde.

„The Holy Land Experience brings together the sights and sounds of the world of the Bible in a unique and interactive way unlike anywhere else.“ Dieses Versprechen in der Ankündigung macht mir besonders im Hinblick auf den interaktiven Charakter der Show schon ein wenig Angst. Wer oder Was sind wir bei diesem Bibel-Live-Event? Römer, Juden, oder gar Amerikaner, soeben eine Zeitraummaschine entstiegen?

Auf jeden Fall gibt es sprechende Löwen (Circus Maximus lässt grüßen), ein Figurenkabinett, um noch Unentschlossene zu bekehren (bring an unsaved one!), Kindertheater im „House of Judea“, „Calvary’s Garden Tomb“ mit einem praktischen Scheibenstein, der vor den Eingang des Grabes gerollt werden kann und direkt darüber das Kreuz Golgatha, an dem Jesus für die Sünden der Menschheit starb (Genau hier). Beziehungsweise stirbt.

Und täglich grüßt die Kreuzigung, 75 Minuten lang.

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